Anzeige

Wirtschaftsprüfer Im Wirecard-Skandal gerät EY immer stärker ins Visier

Bürogebäude von EY Deutschland: Im Wirecard-Skandal muss sich das Big-Four-Unternehmen gegen eine Klagewelle wehren
Bürogebäude von EY Deutschland: Im Wirecard-Skandal muss sich das Big-Four-Unternehmen gegen eine Klagewelle wehren
© Arnulf Hettrich / IMAGO
Der Fall Wirecard belastet auch den Wirtschaftsprüfer des Dax-Konzerns: EY. Große Kanzleien fordern bereits Schadenersatz – und Wirecard war längst nicht das einzige Problem der Kontrolleure

Die Krise bei Wirecard hat auch den Wirtschaftsprüfer des Dax-Konzerns, EY, erreicht. Investorenschutzvereinigungen und mehrere große Kanzleien kündigten in den vergangenen Tagen an, auch gegen EY Schadensersatzansprüche prüfen zu wollen. Der Vorwurf: EY habe die Zahlen und Bilanzen von Wirecard nicht hinreichend genau geprüft und sei öffentlichen Zweifeln nicht nachgegangen.

So reichte die Berliner Anwaltskanzlei Schirp & Partner nach eigenen Angaben bereits eine erste Klage gegen EY ein. Die Prüfer hätten Guthaben auf Treuhandkonten in Höhe von bis zu 1,9 Mrd. Euro beanstandungsfrei testiert, obwohl dafür keine ausreichenden Nachweise vorlagen, erklärte die Kanzlei zur Begründung : „Nach unserer Analyse entspricht dies nicht dem pflichtgemäßen Vorgehen eines Wirtschaftsprüfers.“

Mit der Klage sollen Investoren für mögliche Verluste aus Geschäften mit Aktien und Anleihen von Wirecard und entsprechenden Derivaten entschädigt werden. Eine Klage gegen den Wirtschaftsprüfer habe auch größere Erfolgsaussichten als gegen den angeschlagenen Zahlungsdienstleister selbst, argumentierten die Anwälte noch zu Beginn der vergangenen Woche. Nachdem der Dax-Konzern am Donnerstag Insolvenz angemeldet hat, sehen sie ihre Einschätzung bestätigt: Die Insolvenz habe sich schon abgezeichnet, sagt Wolfgang Schirp gegenüber dem „Spiegel“.

Softbank kündigt Klage an

Doch nicht nur Anleger nehmen den Wirtschaftsprüfer ins Visier. Wie der „Spiegel“ berichtet, prüfe auch der japanische Tech-Investor Softbank rechtliche Schritte gegen den EY und kündigte eine Klage an. Softbank hatte im Frühjahr 2019 Wandelanleihen von Wirecard in Höhe von 900 Mio. Euro gekauft, um im Zuge einer strategischen Partnerschaft den Wachstumskurs mitzufinanzieren. Diesen Schritt hatte der Investor unter anderem an einen testierten Jahresabschluss geknüpft.

Auch die niederländische Investorenvereinigung European Investors lade EY, wie das Handelsblatt berichtet , bereits zu außergerichtlichen Gesprächen ein. Der Vorwurf: Der Wirtschaftsprüfer habe nicht früh genug über Probleme in der Wirecard-Bilanz informiert . Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) ging noch einen Schritt weiter: Nach eigenen Angaben hat sie Strafanzeige gegen zwei amtierende und einen ehemaligen EY-Abschlussprüfer gestellt, wie die Aktionärsvereinigung am Freitag mitteilte.

EY geht von einem „umfassenden Betrug“ durch Wirecard aus

EY sieht dagegen Wirecard in der alleinigen Verantwortung. „Es gibt deutliche Hinweise, dass es sich um einen umfassenden Betrug handelt, an dem mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt waren“, erklärte EY am Donnerstag . „Auch mit umfangreich erweiterten Prüfungshandlungen ist es unter Umständen nicht möglich, diese Art von konspirativem Betrug aufzudecken“, hieß es weiter .

Zwar konzentriert sich die Prüfung von Geschäftsberichten auf die formale Richtigkeit der Geschäftszahlen. Auffälligkeiten müssen Prüfer aber nachgehen . Und spätestens mit den ersten kritischen Berichten in der britischen „Financial Times“ Ende 2018 gab es deutliche Hinweise auf Unregelmäßigkeiten.

Insgesamt testierte EY seit dem Jahr 2010 die Geschäftsberichte von Wirecard. Gegenstand der Sonderprüfung in diesem Frühjahr durch KPMG waren jedoch nur drei Geschäftsberichte für die Jahre 2016 bis 2018 – und schon bei der Vorlage des Sonderberichts Ende April hatte KPMG deutliche Zweifel an der Solidität der Wirecard-Zahlen erkennen lassen.

Vergangene Woche sah sich schließlich auch EY gezwungen, das Testat für den längst überfälligen Geschäftsbericht für das Jahr 2019 zu verweigern . Grund waren fehlende Nachweise für Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Mrd. Euro. Am Montagabend teilte Wirecard mit, dass die Bankguthaben „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“.

Mitglieder der „Big Four“ in der Kritik

Seither fragen sich nicht nur geschockte Anleger, was die Prüfer von EY eigentlich all die Jahre bei Wirecard wirklich geprüft haben – sondern auch Finanzaufseher und Politiker. Erschwerend hinzu kommt, dass dies längst nicht der erste Skandal ist, in dem Wirtschaftsprüfer eine größere Rolle spielen.

Beim deutsch-südafrikanischen Möbelkonzern Steinhoff, der wegen frisierter Bilanzen 2017 knapp an der Pleite vorbeischrammte, stand der Wirtschaftsprüfer Deloitte scharf in der Kritik, ebenfalls in Südafrika hatte zur gleichen Zeit auch KPMG mit mehreren Skandalen zu kämpfen.

Gleichwohl genießen die vier großen Wirtschaftsprüfer – genannt auch „Big Four“, neben EY, Deloitte, KPMG noch PwC – immensen Einfluss in der Unternehmenswelt, da sie bei den großen börsennotierten Konzernen ein Oligopol unterhalten, die Prüfmandate oft über viele Jahre laufen, der Prüfer selten gewechselt wird und sich so leicht zweifelhafte Bilanzstrukturen und -praktiken einrichten können.

Auch EY machte in den vergangenen Monaten häufiger Schlagzeilen. Erst im April entschied ein britisches Gericht zugunsten des ehemaligen EY-Partners Amjad Rihan und verurteilte den Wirtschaftsprüfer zu Zahlungen von knapp 11 Mio. US-Dollar Schadensersatz.

Wirecard längst nicht das einzige Problem bei EY

Rihan war als Auditpartner in Dubai für den Goldhändler Kaloti verantwortlich. 2013 äußerte er den Verdacht, Kaloti sei an Geldwäsche beteiligt und importiere mit Silber überzogene Goldbarren. EY habe seinen Verdacht zurückgehalten und einen Bericht geändert, um die Aktivitäten von Kaloti zu verbergen, lautete Rihans Vorwurf. Der ehemalige Partner sah sich letztlich gezwungen, seinen Job zu kündigen. 2014 ging er mit seinen Enthüllungen an die Öffentlichkeit. Kaloti und EY streiten die Vorwürfe ab. EY kündigte nach der Urteilsverkündung an, in Berufung zu gehen .

Im Fall eines zweiten Klienten ermittelt die britische Bilanzbehörde, der Financial Report Council (FRC): Es geht um NMC Health, die größte Krankenhaus-Gruppe in den Vereinigten Arabischen Emiraten, gelistet allerdings an der Londoner Börse. Nach kritischen Berichten des britischen Hedgefonds Muddy Waters kündigte der FRC im Mai an , die Zahlenwerke von NMC für das Jahr 2018 zu untersuchen. Ende 2019 hatte Muddy Waters nicht nur die Richtigkeit der NMC-Bilanzen angezweifelt, sondern zugleich auf die enge Verbindung zwischen EY und der Krankenhausgruppe hingewiesen . Im Frühjahr korrigierte NMC seine Verschuldung schließlich von 2,1 Mrd. US-Dollar auf 6,6 Mrd. US-Dollar.

Nach eigenen Angaben habe die Gruppe bei internen Untersuchungen bislang verdeckte Schulden, Darlehen und Schecks gefunden, wie die Financial Times berichtete . EY hat dem FRC für die Untersuchung seine Kooperation zugesagt, weitere Kommentare lehnt man ab .

Spätestens in diesem Fall zeigt sich aber noch ein zusätzliches Problem mit den „Big Four“: Denn nicht nur die Konzerne, die sie kontrollieren sollen, arbeiten hochkomplex und sind für Außenstehende kaum mehr zu durchschauen – wie zuletzt eben im Fall Wirecard. Dasselbe gilt inzwischen für die Wirtschaftsprüfer selbst. Auch sie arbeiten heute in einem komplizierten Geflecht von Landesgesellschaften und aufgeteilten Zuständigkeiten – Strukturen, in denen man Pflichten und Verantwortlichkeiten leicht hin- und herschieben kann.

Icon1

Kennen Sie schon unseren Newsletter „Die Woche“ ? Jeden Freitag in ihrem Postfach – wenn Sie wollen. Hier können Sie sich anmelden

Mehr zum Thema

Neueste Artikel