wer jetzt, angesichts der plakativen Überschrift, ein flammendes Plädoyer für einen baldigen Regierungswechsel erwartet, den/die muss ich leider sogleich enttäuschen. Ich habe meine (Brief-)Wahl schon längst getroffen und kann das mutmaßliche Spektakel übermorgen in aller Ruhe und Gelassenheit am Bildschirm verfolgen. Mein provokantes „Weiter so“ bezog sich auch eher auf die Notenbanken. Vor zwei Tagen tagte die Fed und tat sich wieder einmal ausgesprochen schwer, einen Lösungsansatz für die nötige Korrektur der expansiven Geldpolitik zu entwickeln. Immerhin zeigten sich die Währungshüter dann doch mehr als Falke statt als Taube, denn die Reduzierung der milliardenschweren Anleihekäufe wurde zumindest angekündigt bzw. angedeutet und könnte (wenn es im Großen und Ganzen bei der aktuellen Situation bleibt, wie Fed-Chef Powell so schön sagte) schon auf der nächsten Sitzung eingeleitet werden. Und auch den ersten Zinsschritt erwarten die Notenbanker nun bereits im kommenden Jahr. Zunächst fließt die Flut des billigen Geldes aber unvermindert weiter – völlig verrückt und gegen jede Lehrmeinung. „Aber es deutet vieles darauf hin, dass das Verrückte einstweilen als normal angesehen werden muss.“, wie es Tobias Straumann schon im Februar in einem Kommentar in der NZZ formulierte. Die Märkte jedenfalls haben sich längst an das neue Normal gewöhnt:

Rolltreppe abwärts

Hier waren es vor, allem zum Wochenstart, eher die Turbulenzen um den chinesischen Immobilien- und sonstigen Konzern Evergrande oder die drohende Zahlungsunfähigkeit der USA, die auf die Kurse drückten. Für den neuen DAX 40 ging es schon am ersten Tag in Richtung 15.000er-Marke zurück, zwischenzeitlich lag der Index rund 3% im Minus. An der Wall Street dominierten zunächst ebenfalls die roten Vorzeichen, und auch die (durchaus stimmungsabhängigen) Kryptowährungen ließen deutlich Federn; Bitcoin beispielsweise rauschte erneut gen 40.000er-Schwelle, nachdem es zuletzt doch schon wieder beinahe für 50k gereicht hatte. Der Spuk währte aber nicht lange, bereits am Dienstag legten die Notierungen spürbar zu. Diese Erholung setzte sich auch zur Wochenmitte fort, wenngleich von Entspannung eigentlich noch gar keine Rede sein kann. Schließlich gibt es noch andere Baustellen. Ein Beispiel:

Ziehen Sie sich warm an!

Dieser Winter könnte nämlich verdammt kalt werden! Eine extrem hohe Nachfrage (unter anderem aus Asien) und ein reduziertes Angebot sind die Zutaten für eine regelrechte Preisexplosion am Erdgasmarkt. Hinzu kommt, dass die europäischen Gasspeicher nach dem sehr langen, kalten Winter 2020/2021 geleert, bislang jedoch nicht wieder aufgefüllt wurden. Das bringt die Industrie, allen voran die energieintensive Chemiebranche – die im DAX mit dem größten Anteil vertreten ist –, ins Schwitzen. Doch auch die Privatverbraucher müssen wohl in der kommenden Heizperiode tiefer in die Tasche greifen. Oder sich, im schlimmsten Fall, auf Lieferengpässe einstellen. Für die Kurse könnte es also durchaus ein stürmischer Herbst werden, auch wenn die bislang gültigen Chartmarken gehalten haben. Der Test der 15.000er-Marke (die zusammen mit dem GD200 bei aktuell 14.955 Punkten jetzt eine massive Doppelunterstützung bildet) verlief im DAX zumindest erfolgreich, und auch die mittelfristige 100-Tage-Linie (15.612) liegt noch in Schlagdistanz. Entwarnung kann dennoch nicht gegeben werden, da die Notierungen nach oben weiterhin von den Hürden bei 15.800 (obere Begrenzung der zuletzt kursbestimmenden Seitwärtsrange) sowie dem doppelten Widerstand aus 16.000er-Barriere und Allzeithoch (16.030) in Schach gehalten werden.

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