(Prime Quants) – Das kennen Sie sicher selbst: in der Theorie klingt vieles ganz einfach, was sich in der Praxis später dann als reichlich kompliziert darstellt. Deshalb werden die beiden Begriffe häufig als gegensätzlich oder gar widersprüchlich wahrgenommen, bei genauer Betrachtung ist diese Sichtweise allerdings falsch. Theorie und Praxis ergänzen sich vielmehr und stehen in einem direkten Verhältnis zueinander. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die beiden als Einheit verstanden werden, bzw. dass in der praktischen Anwendung eine Reflexion auf die jeweils zugrunde liegende Theorie erfolgt. Und umgekehrt natürlich, schließlich lassen sich aus der Praxis auch immer wieder ganz wunderbare Theorien ableiten. Warum ich so vehement auf diesem Thema herumreite, liegt daran, dass wir uns in dieser Woche eine der populärsten Börsenweisheiten überhaupt zur Brust genommen haben, nämlich dem Satz „Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen“. Dabei interessierte uns besonders der erste Teil, die Verlustbegrenzung. Vielerorts wird dem ambitionierten (Privat-)Anleger die Stop-Loss-Strategie ans Herz gelegt, oftmals mit dem Hinweis, den Stop bei etwa 20 Prozent Verlust zu platzieren. Diese Doktrin ist offenbar so weit verbreitet, dass auch wir regelmäßig Anfragen von unseren Lesern erhalten, warum um alles in der Welt wir beim Prime Quants-Trading denn nicht mit dieser 20-Prozent-Faustregel arbeiten, sondern vielmehr Positionen scheinbar ungesichert halten. Grund genug für uns, die Theorie vom 20-Prozent-Stop einem Praxis-Check zu unterziehen:

Ausgestoppt

Dank unserer ungemein umfangreichen Datenbank und der Rechenleistung unserer Computer haben wir für Sie insgesamt rund 132.000 Trades auf DAX-Aktien ausgewertet, die wir jeweils mit einem simulierten 20-prozentigen Stop-Loss versahen. Die genauen Zahlen, wie wir auf diese gekommen sind und alle Auswertungen dazu können Sie bei meinem Kollegen Sebastian Hoffmann nachlesen (Datenhunger). Jedenfalls, und damit weiter in meinem Text, wurde die Verkaufsorder bei 70 Prozent der Engagements tatsächlich ausgelöst und somit ein Verlust von mindestens 20 Prozent realisiert. Mindestens deshalb, weil ein Stop-Loss ja bekanntlich keine Garantie dafür ist, die Aktie o. ä. auch tatsächlich zum vorher festgelegten Preis zu verkaufen. Nein, garantiert wird bei diesem Orderzusatz nur, dass die Position irgendwie verkauft wird. Wenn es dann noch knüppeldicke kommt und der Wert mit einem ordentlichen Gap down, also einem deutlich niedrigeren Kurs im Vergleich zum Vortag eröffnet, können aus den einkalkulierten 20 Prozent Verlust auch schon mal ganz schnell 30 oder mehr werden. Falls Sie nämlich nicht gerade über hellseherische Fähigkeiten verfügen und Ihren Stop-Loss am Vorabend in weiser Voraussicht gelöscht haben, wird Ihre Order am nächsten Morgen zum ersten besten Preis ausgeführt, wobei „besten“ hier eigentlich „schlechten“ heißen müsste, denn im gerade beschriebenen Fall liegt der Aktienkurs ja klar unterhalb des ursprünglichen Stop-Loss. Wie es der Zufall will, findet sich in dieser Handelswoche mit VW sogar ein brandaktuelles Beispiel: Die Aktie der Wolfsburger rauschte am frühen Mittwochmorgen rund 10 Prozent in den Keller, sprich unter die 100-Euro-Marke, nachdem am Vorabend einer Ad-hoc-Mitteilung des Unternehmens zu entnehmen war, dass neben den Dieselmotoren offensichtlich auch die Benziner abgastechnisch manipuliert wurden. Ooops, they did it again, und folgerichtig bildeten die VW-Papiere am Mittwoch auch das Schlusslicht im DAX. Das hatte durchaus Folgen:

Whatever it takes

Mensch, da hat der Draghi am Wochenende doch extra noch einmal nachgelegt und seine eigenen Worte aus dem Jahre 2012 bekräftigt, es werde wirklich alles getan, also wirklich „whatever it takes“, um dem siechen Euro und dessen Zone auf die Sprünge zu helfen. Und gucke da, am Montag kletterte der DAX dann auch tatsächlich um ein knappes Prozent weiter nach oben und blieb erst gut 50 Punkte unterhalb der 11.000er-Marke stehen. Nach diesem erfolgreichen Start in den Monat November wollte es jedoch nicht mehr so recht voran gehen. Insbesondere die 11.000er-Marke erwies sich in dieser Handelswoche als eine Nummer zu groß für die Kurse. Dabei legten die im Index gelisteten Unternehmen – na gut, VW klammern wir da jetzt besser aus, siehe oben – vor allem am Donnerstag durchaus solides, wenn nicht gar ansprechendes Zahlenwerk vor: Adidas überraschte beispielsweise mit einem neuen Jahreshoch, indem es alle Analystenerwartungen überbot, aber auch HeidelbergCement gefiel mit seinen Ergebnissen für das dritte Quartal 2015. Für den Sprung über 11.000 Zähler reichte das aber eben bislang nicht. Zu schwach die Wall Street auf Wochensicht, an der sich zuletzt keine rechte Kauflaune einstellen mochte. Wie auch, wo in Sachen Zinserhöhung noch immer alles andere als Klarheit herrscht. Dabei stehen theoretisch doch weiterhin alle Zeichen auf Jahresendrallye, oder nicht? Die Antwort lautet: Ja, schon…aber wie das nun einmal so ist mit Theorie und Praxis, manchmal klaffen die beiden eben doch ein gutes Stück auseinander!

Erfolgreiche Trades wünscht

Ihr
Sebastian Jonkisch

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